Den Verschwundenen eine Stimme geben

Von Peter Nowak, Frankfurter Rundschau

Der kolumbianische Exilant Erick Arellana unterstützt mit Filmen Menschenrechtsorganisationen in seiner Heimat

Erick Arellana Bautista wirkt beklommen, wenn er an seine in wenigen Wochen bevorstehende Reise in seine Heimat Kolumbien denkt. Das ist verständlich, denn der 27-jährige Filmemacher fährt nicht auf Urlaub nach Hause. Er will mit einer Genanalyse nachweisen, dass es sich bei der Leiche, die 1990 in einem Plastiksack in einem Vorort von Bogotá gefunden wurde, um seine 1987 von Paramilitärs entführte Mutter handelt. Nydia Erika Bautista war in den 80er Jahren Mitglied der mittlerweile aufgelösten Guerillagruppe M-19. Auch ihr Sohn, der sich schon als Jugendlicher in der Asfaddes , der Organisation der Familienangehörigen der Verschwundenen engagierte, musste nach Morddrohungen 1997 Kolumbien verlassen und lebt seitdem im Berliner Exil.

Immer wieder reist er zurück in seine lateinamerikanische Heimat, obwohl er dort sogar sein Leben riskiert. Im vergangenen Jahr drehte er sechs Wochen unter dem Schutz von International Peace Brigades in Bogotá einen Film über das Leben und die Arbeit der Asfaddes und ihren Kampf für die Bestrafung staatlicher Mörder.

Doch Arellana zeigt die Menschen nicht nur als Opfer staatlicher Gewalt, sondern auch als Kämpfer für eine andere Gesellschaft. So beginnt der Film mit der Rekonstruktion der spektakulären Besetzung des Justizpalastes von Bogotá durch die Guerillabewegung M-19 im Jahr 1985. Das Militär setzte damals das Gebäude in Brand. Dabei starben 105 Personen, 15 sind bis heute spurlos
verschwunden. Der Film heißt N.N., ohne Name, wie Gräber mit unbekannten Personen genannt werden.

«Das Verschwindenlassen löscht die Geschichte jedes einzelnen Menschen aus. Die Angehörigen haben nicht einmal ein Grab zum trauern», weiß Arellana aus eigener Erfahrung. Deshalb setzte er im Exil seine Unterstützungsarbeit für die bedrängten kolumbianischen Menschenrechtler fort. Gemeinsam mit dem Landsmann und Kollegen Pedro Compay gründete er die Gruppe Iska  (Internationale Solidarität und Kulturaustausch Kassel/Berlin). Die erste Begegnung der beiden schildert Arellana im Rückblick so: «Wir lernten uns auf der Documenta in Kassel kennen, konnten wenig Deutsch und begannen uns über das andere Kolumbien, jenseits der Stereotypen Fußball, Guerilla, Mafia auszutauschen.» Sie begannen sogleich mit ihren Unterstützungsprojekten.

Bei dem «Stadtplan der Erinnerung» sollen in Kolumbien bisher nummerierte Straßennamen im Zentrum von Bogotá nach den Verschwundenen benannt werden. «Wir wollten damit den Verschwundenen ihren Platz in der Stadt zurückgeben», so Arellana. Doch bis auf wenige Ausnahmen wurden die Pläne nicht umgesetzt. Weil ein Großteil der Verschwundenen zur Linken gehörte, läuft die kolumbianische Rechte dagegen Sturm.

«N.N.» ist der zweite Teil des Projekts. Der Film soll helfen, den Verschwundenen eine Stimme zu geben und in Europa die Verhältnisse in Kolumbien bekannter zu machen, sagt Arellana. In Deutschland haben sich sowohl kirchliche Gruppen, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen an der Solidaritätsarbeit beteiligt, zeigt sich Arellana zufrieden. Doch der engagierte Künstler hat schon wieder neue Projekte und Pläne im Dienste der Solidarität. Auch deswegen unternimmt er demnächst wieder die gefahrvolle Reise nach Kolumbien.